Wer bin ich ohne Arbeit?

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Christa Langheiter gehört zu den modernen Multi-Jobberinnen. Einerseits ist sie Journalistin, andererseits Auszeit-Coach. Unter anderem. Warum also nicht diese beiden Funktionen kombinieren? Ein Experiment. Auch Aktivitäten mit ungewissem Ausgang gehören zur Neuen Wirtschaftswelt. Ein Interview von Christa Langheiter, Journalistin, mit Christa Langheiter, Auszeit-Expertin.

Was lässt Dich glauben, dass Auszeit nicht nur für Dich selbst, sondern auch für viele andere ein wichtiges Thema ist?

Erstens war es ein Kinderspiel, für mein Buch „Mut zur Auszeit“ InterviewpartnerInnen zu finden, die mir von Ihren Erfahrungen erzählen. Selbst Firmenchefs und Personalverantwortliche waren sehr gesprächsbereit. Und meine Erfahrung ist, dass Dinge gerade sehr relevant sind, wenn Sie in so großer Leichtigkeit passieren. Das Thema hing förmlich in der Luft und ich habe gepflückt.

Und zweitens?

Und zweitens ist das Thema Auszeit in den Medien in letzten Jahren stark vertreten – Burnout, das ja oft ein Grund für eine unfreiwillige Auszeit ist, ebenso. Und wo immer ich bin und das Thema Auszeit erwähne, knüpft sofort jemand an. Sei es, dass jemand Auszeit gerade eine Auszeit gemacht hat oder eine machen will oder im Gespräch auf die Idee kommt, eine zu machen. Da gibt es eine große Sehnsucht.

Sehnsucht wonach?

Im Grunde Sehnsucht nach einem selbst bestimmten Leben. Und da wir nun einmal einen Großteil unseres Lebens in der Arbeit verbringen, bedeutet das auch, Sehnsucht nach einer selbst bestimmten Arbeit. Warum sollten erwachsene Menschen sich vorschreiben lassen, wann sie am besten ihre Arbeit erledigen, in Teams gezwungen werden, die „chemisch“ nicht passen, Aufgaben zu übernehmen, in denen sie ihre Talente nicht leben können. Und das womöglich zu einem Gehalt, von dem sie kaum leben können.

Ist das nicht ein bisschen krass ausgedrückt?

Wenn man länger mit Menschen über ihre Auszeitmotive redet, bleibt sehr häufig diese Essenz übrig. Sicher gibt es auch Unternehmen mit einer Arbeitskultur, die „Inzeit“-Gelüste statt Auszeit-Gelüste fördert.

Kannst Du Beispiele nennen?

Kürzlich habe ich von einem faszinierenden Beispiel gelesen, wie es auch gehen kann. Der Inhaber der Firma Semco hatte selbst ein Burnout und hat danach sein Unternehmen völlig umgekrempelt. Seine Mitarbeiter entscheiden nun selbst über Gehälter und Arbeitszeit ebenso wie über die Vorgesetzten.

Apropos Burnout. Das Wort kann man ja langsam nicht mehr recht hören. Es scheint fast schon modern geworden zu sein, Burnout zu haben. Wie siehst Du das Phänomen Burnout?

Als ich selbst vor 10 Jahren ein Burnout hatte, war der Begriff noch nicht in aller Munde. Es wäre damals einfacher für mich gewesen, diesen Zustand zu akzeptieren, wenn ich darüber Bescheid gewusst hätte. Inzwischen hat sich viel getan. Viele Menschen wissen mittlerweile, dass Burnout eine ernstzunehmende Krankheit ist, viele Arbeitgeber wissen es auch. Aber ja, ich stimme auch zu, dass sich mittlerweile so viele Menschen mit ihrem Burnout geoutet haben, dass langsam wieder eine Image-Kehrtwende zu beobachten ist. Dass die Ernsthaftigkeit nun langsam wieder angezweifelt und dem einen oder anderen wieder Tachinitis unterstellt wird.

Was wären jetzt notwendige Schritte?

Was es jetzt bräuchte, ist, ein bisschen mehr hinter das Phänomen Burnout zu schauen. Es scheint eine Möglichkeit geworden zu sein, zu sagen „Seht her, so kann ich nicht mehr weiter machen. Es geht einfach nicht.“ Jetzt wäre meiner Meinung nach der Zeitpunkt, dass mehr Menschen dazu stehen, dass sie so nicht mehr weitermachen wollen. Dass sie sich bewusst dafür entscheiden, dass sie kundtun, welche Werte sie in ihrer Arbeit leben wollen und dass sie eine erfüllende und selbst bestimmte Arbeit möchten. Das wäre ein Schritt in Richtung Selbstverantwortung.

Burnout scheint auch bei jungen Menschen immer mehr Thema zu sein?

Ob man da von Burnout sprechen sollte, bin ich nicht sicher. Was ich beobachte ist, ein gewisses Ausgebranntsein, eine Müdigkeit, insbesondere wenn sich Menschen sehr engagieren – eben auch für den Wandel – und dann in zahlreichen Projekten gleichzeitig aktiv sind. Das wäre dann eher ein Ausbrennen aus Leidenschaft. Davon wurde vielleicht bis dato noch nicht so viel gesprochen.

Dann sollten wir darüber sprechen …

Genau. Nur weil man etwas leidenschaftlich gern macht, bedeutet das nicht, dass man keine Pausen und Entspannungsphasen einlegen muss. Es ist in jedem Fall wichtig, einen Wechsel von Spannung und Entspannung zu haben. Der Tank muss sich ja wieder aufladen. Das übersieht man leicht, wenn man etwas sehr gerne macht. In der Stille, im Entspannen liegt großes Potential – auch für neue Ideen, neue Perspektiven. Wir sind nur meistens so sozialisiert, dass Nichtstun ein schlechtes Image hat. „Sei nicht so faul!“ haben wir bestimmt öfter gehört als „Jetzt mach mal einfach gar nichts und ruh dich aus.“ Ich fände es ideal, wenn man regelmäßige Mini-Auszeiten zwischendurch in den Kalender einträgt, als eigenes Projekt sozusagen. Ob das nun ein freier Nachmittag, ein freies Wochenende oder ein paar freie Wochen sind.

Was bringt eine Auszeit grundsätzlich? Womit muss und darf man rechnen?

Aus dem Gewohnten auszusteigen, bringt in jedem Fall neue Perspektiven. Man lernt sich selbst wieder pur kennen. Wer bin ich ohne Arbeit? Diese Frage taucht in einer Auszeit oft sehr dominant auf. Ebenso werden grundsätzliche Bedürfnisse klarer. Wann will ich den Tag beginnen, wie viele Menschen will ich sehen, wie viel Struktur brauche ich etc.?

Jetzt haben wir viel gehört, wie viel Sehnsucht es nach einer Auszeit gibt und was sie bringen kann. Die Frage aber bleibt für viele, wie sie umgesetzt werden kann.

Ich denke grundsätzlich, wenn man etwas sehr stark möchte, wird man einen Weg finden. Aber sicher verstehe ich auch, dass es Ängste gibt, wie das denn klappen kann, ohne die Arbeit zu verlieren oder keine neue mehr zu finden. Grundsätzlich gibt es einige Modelle, wie eine Auszeit realisiert werden kann. Aber alle aufzuzählen, würde den Rahmen hier sprengen. Bildungskarenz ist jedenfalls eine der häufigsten Formen. Wie man eine Auszeit am besten angeht, ist wirklich eine sehr individuelle Sache. Ein Auszeit-Coach kann dabei helfen.

Ist Deiner Meinung nach ein Ende der Auszeit-Sehnsucht in Sicht?

Das sehe ich noch nicht. Ich denke, das Thema wird erst weniger präsent werden, wenn die Wirtschaft mit den Menschen und nicht gegen sie arbeitet.

Titelbild

„Walking Around (52th/52)“ © Alexandre Normand via flickr.com CC BY 2.0

Auszeit nehmen, Coach, Christa Langheiter

Christa Langheiter

 

Christa Langheiter ist Auszeit-Coach und Autorin des Ratgebers „Mut zur Auszeit“.
www.mut-zur-auszeit.at

Christa schreibt auch für Youbeee. Hier kommst du zu ihrer Serie „Geschenke am Weg“. Very lesenswert! 🙂

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