Stefan Keller: „Das Leben zeigt, was als Nächstes zu tun ist.“

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Oft braucht es radikale Schritte, um zu seiner Mitte zu gelangen. Das weiß keiner besser als Stefan Keller. Kurz vor dem Burnout machte der zweifache Familienvater im Frühjahr 2009 seine schlimmste Horrorvorstellung wahr: Der Schweizer verließ Partnerin und Söhne, um in der Ferne wieder zu sich zu finden.

Wie kam es, dass du vor dem Burnout standest?

Einerseits hatte ich mir mit meiner Partnerin die Erziehung der Kinder geteilt. Andererseits war ich geschäftlich lang in einem Familienbetrieb tätig und politisch und in NGOs aktiv. Volles Programm also. Irgendwann habe ich gemerkt, dass ich innerlich ausbrenne. Ich war unter Dauerdruck, hin- und hergerissen zwischen Geldverdienen und den Kindern. Ich hatte den Drang, einen radikalen Wechsel zu vollziehen und aus dem Hamsterrad auszubrechen. Dabei war meine schlimmste Vorstellung, meine Kinder zu verlassen.

Genau das hast du aber gemacht…

Der innere Druck ist immer größer geworden. Ich wollte mich nur noch zurückziehen und allein in der Natur sein. Ich kann mich an eine der vielen schlaflosen Nächte erinnern, in denen sich Gedanken und Gefühle drehten. Da hatte ich eine Vision: Alle – meine Kinder, die Partnerin, meine Eltern – hatten sich versammelt und sagten, ich solle meinen Weg gehen. Das Wichtigste wäre, jetzt auf mich zu schauen.

Dann bist du sofort weggegangen?

Es hat noch zwei, drei Tage gedauert, bis ich es meiner Partnerin und meinen 17- beziehungsweise 21-jährigen Söhnen gesagt habe. Für meine Kinder kam es aus heiterem Himmel, schließlich hatte nach außen hin alles funktioniert. Der Jüngere hat darauf ein Jahr nicht mit mir gesprochen. Das war besonders schlimm! Drei Monate bin ich noch geblieben und habe Möglichkeiten gesucht, wohin ich sollte. Zu der Zeit war ich in einer Geomantie-Ausbildung und mein Ausbildungsleiter hat mich in eine alte Schlossgärtnerei nahe Rosenheim eingeladen, um das Gelände energetisch zu untersuchen. Dort hat er mir den Schlüssel in die Hand gedrückt und gemeint: „Du kannst hier einige Monate ein Forschungsprojekt leiten.“ Eine Woche später bin ich mit einem Koffer Kleidung und 50 Euro in der Tasche aufgebrochen. Es gab kein fließendes Wasser, nur eingefallene Glashäuser auf 5000 Quadratmeter – im Prinzip habe ich vier Monate unter freiem Himmel gehaust. Manchmal war ich tagelang allein. Es war eine intensive Zeit, und allein die Ereignisse der vier Monate könnten ein Buch füllen.

So bist du dem Burnout entkommen?

Ich denke schon. Wenn ich damals nichts gemacht hätte, wäre ich mit größter Wahrscheinlichkeit komplett zusammengebrochen und hätte mich nicht mehr selbst rausholen können. Ich konnte es aus eigener Kraft nicht an Ort und Stelle verändern. In einem anderen Umfeld konnte ich es bearbeiten.

Wusstest du damals, wie dein neues Leben sein sollte?

Nein, ich hatte nur das Bild vom Alleinsein in der Natur. Ich habe in Rosenheim in den Tag hineingelebt, hatte keine Ahnung, wie lange das dauert. Beim Abschluss meiner Geomantie-Ausbildung habe ich eine Frau kennengelernt, und als das Forschungsprojekt zu Ende war, bin ich auf ihre Einladung zu ihr nach Perchtoldsdorf/Österreich gezogen. Das war der Neustart in einem neuen Land. Beruflich bin ich auch heute noch derjenige, der sich mit Projekten und Teilzeitjobs unter anderem im Seminarbereich über Wasser hält. Gerade habe ich eine Ausbildung zum CSR-Manager gemacht, durch die sich wieder viel Neues ergibt.

Was machst du heute anders als vorher?

Das ist eine gute Frage! Mit fortschreitendem Alter ist der Drang, sich profilieren zu wollen, einer inneren Sicherheit und Gelassenheit gewichen. Aber ich bin nicht gefeit davor, ins Muster zurückzufallen, etwas erzwingen zu wollen. Anders als vorher versuche ich heute aber nach innen zu schauen und zu prüfen, was jetzt wichtig ist und offen zu sein dafür, was sich im Moment ereignet. Ich will nicht ausschließen, für immer da zu bleiben und gleichzeitig nicht ausschließen, wieder wegzugehen. Das Leben zeigt, was als Nächstes zu tun ist.

Wie ist heute dein Verhältnis zur Ex-Partnerin und den Kindern?

Es herrscht freundschaftlicher Kontakt, wir unterstützen uns gegenseitig. Mein jüngerer Sohn hat mir auch nach einem Jahr aus heiterem Himmel eine SMS geschickt: Es täte ihm leid, wie er sich abgewendet hätte und ob ich ihm verzeihen könnte. Ich hatte ein Jahr lang Schuldgefühle, weil ich sie verlassen hatte – und dann kommt diese SMS von ihm und dreht die Situation völlig um. Das war eine echte Leistung von ihm!

Wie glücklich bist du im Moment auf einer Skala von 1 – 10 (10 sehr glücklich)?

Ich bin bei sieben, aber das Glücklichsein ist ja nur eine Momentaufnahme.

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