Joe Bättig: „Ohne diese Lebenslektion wäre ich nicht dort, wo ich jetzt bin!“

Gemütliche Lesezeit ca. 7 Minuten.

Geschäftsleitung der Zurich Versicherung, CEO der Genevoise Assurance – mehr als dreißig Jahre war Joe Bättig vor seinem Burnout in der Finanzbranche erfolgreich. Warum er dieser auch nach seinem Zusammenbruch treu geblieben und dennoch alles ganz anders ist, verrät der Schweizer im Interview: 

Sie sind jahrzehntelang die Karriereleiter hochgeklettert. Wie kam es zum Burnout?

Da muss ich etwas ausholen: Ich habe immer viel gearbeitet, 17 – 18 Stunden-Tage gehabt und 100 – 120 Nächte in Hotels verbracht. Allerdings hatte ich sehr interessante Aufgaben, breite Führungsverantwortung und konnte als unternehmerischer Manager arbeiten. Man hat mir Vertrauen geschenkt, und ich hatte relative Entscheidungsfreiheit. Das hat Spaß gemacht und war für die Befriedigung meines Egos schön: Ich hatte sehr gut verdient und hatte die Anerkennung in der Öffentlichkeit.

Wann hat sich das Blatt gewendet?

Nachdem wir die Genevoise Assurance in die Zürich Versicherung integriert hatten, wollte ich 2007 eine Auszeit nehmen. Da hat man mir einen tollen Job mit wunderschönem Gehalt geboten, und ich habe den Fehler gemacht, sofort zuzuschlagen. Mein Chef hat sehr gut gewusst, wie er mir die Rübe vors Gesicht setzen kann. In diesem Job habe ich statt 18 Stunden 19 gearbeitet, hatte noch größere Verantwortung, aber kleinere Entscheidungsräume. Ich hatte mehr Leute, die mir reingeschwatzt haben, und es war wichtiger, Powerpoint-Präsentationen zu machen als zu handeln. Ich wurde müder, dünnhäutiger, habe 15 kg abgenommen. Das war der Anfang.

Ende 2008 bekam ich dann einen neuen Chef, einen jungen Deutschen, der vorher meine Konkurrenz auf dem Markt war. Und der hat ein hochintelligentes System von Mobbing mir gegenüber aufgebaut.

Wie sah das aus?

Er ist zu jedem meiner Mitarbeiter gegangen, hat ihnen geschmeichelt und sie ausgefragt, wie ich in bestimmten Situationen reagiere. Dann hat er diese Aussagen zusammenhanglos genommen und mich überall schlecht gemacht. All das passierte hintenrum, vorne war er nett zu mir. Ich begann mich nur noch darauf zu konzentrieren und nicht mehr auf meinen Job. Das hat dazu geführt, dass ich Unterlassungsfehler gemacht habe. Ich dachte, ich könnte damit umgehen, aber ich habe schlecht geschlafen, wurde gereizter, müder. Dennoch beschloss ich, mir das nicht gefallen zu lassen!

Und dann kam das Burnout?

Ja, Anfang Februar wollte ich noch in den Kampf ziehen – und am Samstag, 21. Februar kam der Zusammenbruch: Ich konnte mich nicht mehr bewegen. Zuerst habe ich an Herzinfarkt gedacht, aber die Blutwerte in der Notfallambulanz zeigten einen enormen Erschöpfungszustand. Mein Hausarzt hat am Montag darauf zum ersten Mal das Wort „Erschöpfungsdepression“ benutzt. Später folgte die Diagnose Burnout.

Burnout in der Finanzbranche, Joe Bättig, CEO, Erschöpfung, Mobbing

Joe Bättig

Wie sind Sie damit umgegangen?

Ich dachte anfangs, ich nehme mir zwei Wochen Auszeit. Dass ich Depressionen hatte, habe ich erst später durchs Lesen gemerkt: Ich hatte Zweifel, Ängste, war ausgebrannt und extrem erschöpft. Ich konnte nicht mehr denken.

Man hat mich nicht mehr arbeiten lassen, ich war voll weg. In den ersten vier Wochen war meine Frau mein einziger Kontakt. Ich habe mich geschämt. Erst später habe ich mich mit meinen besten Freunden getroffen.

Wie es beruflich weitergehen sollte, wusste ich nicht. Mein Ego hat aufgeschrien: Wer bin ich denn ohne diesen Job? Und doch habe ich gemerkt, würde ich in diese verlogene Umgebung zurückgehen, wäre ich in drei Monaten wieder im Burnout.

Sie sind aber zurück zu Zürich?

Ja, nach vier Monaten habe ich meinem Chef gesagt, dass ich aus seinem Team ausscheide – aber zu meinen Bedingungen und zum für mich richtigen Zeitpunkt. Er hat erstaunlicherweise alles akzeptiert. Nach sechs Monaten bin ich zu 50% zurück, allerdings nicht mehr als Leitungsmitglied der Geschäftsführung, sondern als Senior Consultant. Ich hatte den gleichen Lohn, aber nicht so viel zu tun: Das ging ein Jahr, bis ich das Offert von Zürich für eine spannende internationale Position erhielt. Ich wusste aber, dass ich den Job maximal drei Jahre mache, weil mir der regulierte Großbetrieb nicht liegt. Das hab ich im Burnout rausgefunden..

Deshalb haben Sie sich nach 32 Jahren von Zurich getrennt?

Ja, das war das Ende der Nach-Burnout-Phase: Die Zürich und ich haben uns gut gefunden und einen sehr fairen Deal ausgearbeitet. Es war für mich wichtig, sich nach über dreißig Jahren im Guten trennen zu können. Im April 2014 habe ich mich mit jb-consulting selbstständig gemacht, mich an zwei Firmen beteiligt und habe heute jeden Tag Spaß!

Nach weniger Arbeit klingt das aber nicht. Was ist heute anders?

Arbeiten ist mein Hobby. Die Zielsetzung war nur, dass ich glücklich arbeite, wenn ich arbeite. Das habe ich erreicht. Ich arbeite heute 7 Tage, aber nicht 8 Stunden. Mein Pensum scheint groß, aber mit der Erfahrung kann ich das sehr gut managen. Mein nächstes Ziel ist, nur noch 40 Wochen im Jahr zu arbeiten und den Rest Ferien zu machen.

Was war die wichtigste Lektion, die Sie aus dem Burnout mitgenommen haben?

Das Wichtigste ist, dass ich den Kampf mit meinem Ego gewonnen habe. Ich war so stolz auf meine Visitenkarte und darauf, was ich erreicht hatte. Heute ist mir egal, was die Leute denken. Ohne diese Lektion wäre ich nicht dort, wo ich jetzt bin. Dafür bin ich dem Leben sehr dankbar!

Auf einer Skala von 1 – 10 (10 bedeutet sehr gut): Wie geht es Ihnen heute?

Ganz klar bei 10, mir geht es sehr gut. Das hängt mit Freiheit, mit den Menschen und mit dem Mut etwas nicht zu tun zusammen. Heute bin ich authentisch: Ich mache das, was und wie ich bin.

Danke für das Gespräch!

Fotos: Joe Bättig

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.