Das Vermächtnis der brasilianischen Sklaven: Capoeira

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Kampf, Tanz, Musik: Das alles vereint Capoeira. Und doch ist die über 300 Jahre alte Kampfsportart mehr als die Summe ihrer Teile.

Selbst nach über zehn Jahren Capoeira bleibt der brasilianische Tanzkampf für mich ein faszinierendes Erlebnis: Ich bewege mich in der Mitte eines Kreises von Menschen, die laut singen und in die Hände klatschen, an einer Stelle dieses Kreises werden drei Instrumente gespielt, sie spielen und spielen, geben den Rhythmus und das Tempo meiner Bewegungen und des Chors, der den Kreis bildet, vor. Mein Gegenüber bewegt sich in einer nie enden wollenden Abfolge von Bewegungen, ich agiere im Einklang mit der Musik des ganzen Ensembles um mich herum, reagiere auf mein Gegenüber und es gibt nur mehr die Musik, meinen Gegner und mich.

Der Kreis heißt Rôda (sprich: hôda),

die Spieler der Instrumente Bateria. Diese besteht aus einer großen Trommel (Atabaque), einem Tamburin (Pandeiro) und dem wichtigsten Instrument, dem Berimbau (ein hölzerner Bogen, der durch eine Drahtsaite gespannt wird). Während einer Rôda hört die Bateria nie auf zu spielen, der Rest der Menschen singt und klatscht dazu. Als unbeteiligter Beobachter ist vieles in diesem Ensemble aus Menschen, Tönen und Bewegungen zu erkennen – Spiel, Kampf, Tanz, Sport oder Zeremoniell. Dabei ist es von allem etwas.

Capoeira ist ein Teil des Vermächtnisses der Sklaven der brasilianischen Zuckerrohrplantagen. Seit dieser Zeit hat es sich nach einer turbulenten Geschichte über die ganze Welt verbreitet. Capoeiristas aus Brasilien gründeten zahlreiche Capoeiraschulen und Akademien und trugen so dazu bei, dass die Sportart, die als Antwort auf die brutale Realität von Kolonialismus und Sklaverei entstanden ist, mittlerweile in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist.

 

Capoeira, Brasilien, Kampfsport, Kampfkunst

 

Vielseitigkeit und Bewusstseinsbildung

Der Reiz und gleichzeitig die Herausforderung von Capoeira liegen in seiner Vielseitigkeit. Diese ist zum einen bedingt durch die Vielzahl an Bewegungen, sowie durch eine noch größere Anzahl an Möglichkeiten, diese miteinander zu kombinieren. Zum anderen spielt Musik eine ebenso wichtige Rolle. Als Capoeirista musste ich verschiedene Rhythmen, genannt Toques, und Lieder lernen, um mitsingen und mitklatschen zu können. Capoeira vereint Elemente wie Kraft, Geschwindigkeit, Ausdauer, Präzision und Antizipation mit Musikalität und Rhythmusgefühl und erfordert rudimentäre Portugiesischkenntnisse, da die Lieder in ebendieser Sprache gesungen werden.

Es ist auch ein Kampfsport, der sämtliche Teile des Körpers beansprucht. So wurdeich mir der eigenen Körperlichkeit bewusster und begann, mich reflektierter zu ernähren und mich auf den veränderten Stoffwechsel bei regelmäßiger körperlicher Anstrengung einzustellen. Jemand, der oder die diesen Sport halbwegs ernsthaft betreibt, kommt um eine mehrfache Bewusstseinsbildung – Körper, Ernährung, Geschichte, Musik – nicht herum.

Im Zentrum der Rôda

Ein besonderes Merkmal ist der ständige Fluss von Bewegungen, man ist nie im Stillstand, ein Frage- und Antwortspiel zwischen den beiden Spielern. Beim Aufeinandertreffen in einer Rôda, das Jôgo de Capoeira genannt wird, kämpft man auch nicht gegeneinander, sondern spielt miteinander.

Eine Trainingseinheit besteht meistens aus Aufwärmen, Üben und Wiederholen von Bewegungsabfolgen sowie einer abschließenden Rôda, in der zu spielen ein besonderes Erlebnis ist: die Bateria gibt das Tempo vor, die anderen Capoeiristas klatschen und singen, man selbst befindet sich in der Mitte dieses Kreises und ist ganz auf das Gegenüber und die eigenen Bewegungen fokussiert.

Nach dem Ende einer Rôda, wenn über besonders gelungene Aktionen oder ein schönes Spiel gefachsimpelt wird und ich mich auf den Weg nach Hause mache, fühle ich mich einfach gut. Das Gefühl des Hier und Jetzt und die Wirkung der vielfältigen Sinneseindrücke halten noch eine Weile an und Glückshormone werden ausgeschüttet.

Mehr Infos: www.capoeira-tanzkampf.at

 

Fotos  von Capoeira Esporte e Cultura Austria

Foto „Roda“ Titelbild  by Stefan Pfeiffer

Foto „Roda Kids“ by Markus Wache

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