Jurte statt Einfamilienhaus

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Wohnen in einer Jurte: Das mag romantisch klingen. Ob es das auch ist, zeigt ein Besuch in einem Schweizer Jurtendorf.

Es ist kalt an diesem Februarabend. Die Luft riecht frisch und der tiefe Schnee, der das kleine Seitental der Luthern in der gleichnamigen Luzerner Gemeinde bedeckt, schluckt jedes Geräusch. Acht weiße Rundzelte schmiegen sich an den Abhang unterhalb eines Waldes. Die Zelte, von ihren Erfindern – den zentralasiatischen Nomaden – Jurte genannt, erinnern ein wenig an Ufos. Das liegt wohl an der Kuppel aus Plexiglas, die auf jedes Dach montiert wurde.Jurtendorf Schweiz, Alternatives Wohnen

Vor mir stapft Steven Wolf, der liebevoll Gimli genannt wird, durch den Schnee und gibt mir eine Führung durch das Jurtendorf. Auf dem Arm trägt er seinen einjährigen Sohn, sein Hund folgt uns schwanzwedelnd. Der junge Mann, dessen Gesicht hinter langen, braunen Locken und dem ebenso langen, wilden Bart verschwindet, zeigt auf ein paar kleinere Zelte: „Das sind die Gästejurten.“ Dort werde ich also heute Nacht schlafen. Außer uns ist kein Mensch zu sehen.

Lebhafte Sommersaison 

Gimli wohnt seit 2011 ganzjährig im Jurtendorf und hält unter anderem Seminare über die Nutzung von Wildpflanzen. Im Sommerhalbjahr wimmle es hier nur so vor Leben: Statt 8 stehen dann 25 Jurten. Sie dienen einerseits als Seminarräume und andererseits als Unterkunft für Seminarteilnehmer sowie für Kinder, die hierher in ein Lager kommen. Touristen können gegen einen Beitrag nach eigenem Ermessen ebenfalls in einer Jurte übernachten.

Zum Jurtendorf gehört auch ein altes Bauernhaus, das im Gegensatz zu den Jurten ans Stromnetz angeschlossen ist. Es beherbergt neben einer Küche und einer Waschmaschine auch die außergewöhnlichen sanitären Anlagen. Gimli erklärt mir die Toiletten: Die Fäkalien fallen in eine Komposttonne und statt hinuntergespült werden sie mit Holzschnitzeln bedeckt. Die Abwässer der Pissoirs und der Waschbecken fließen in eine Pflanzenkläranlage. Statt einem Spiegel hängt ein Zettel über dem Waschbecken. „Du siehst einfach umwerfend aus“, steht darauf. Um sich die Hände zu waschen, muss eine Fußpumpe betätigt werden, die Wasser aus einem Behälter in den Hahn pumpt. Die Gäste sollen durch die Aktivität den Wert der Ressource fühlen.

Wohnen in runden Räumen

Gimli verabschiedet sich, da er sich um die Windeln des Kindes kümmern muss. Ich betrete das größte Zelt am Platz: eine Doppeljurte. Ein Wärmeschwall schlägt mir entgegen, die Hitze stammt von einem Holzofen. An einem Bürotisch sitzt Andrea Weibel bei Kerzenlicht vor ihrem Laptop. Jurtendorf Schweiz, Alternatives Wohnen„Ich bin gleich bei dir, muss nur noch schnell ein E-Mail schreiben“, sagt die Mittvierzigerin mit den wallenden, schwarzen Haaren. Ich mache es mir auf einem der Schaffelle gemütlich, die rund um einen niederen Holztisch am Boden liegen.

Über dem Tisch funkeln die Sterne durch das Oberlicht. Die Plexiglaskuppel sitzt auf einem runden Holzrahmen, von dem Dachlatten wie Strahlen nach unten zeigen und vom Scherengitter der Wände getragen werden. Der runde Raum ist ungewohnt und mit Ausnahme der Quadrate, die das Scherengitter bildet, gibt es kaum rechte Winkel.

Passion zum Beruf gemacht

Andrea infizierte sich mit dem Jurtenvirus, wie sie es selber nennt, bei Freunden in Frankreich und begeisterte sich sofort für den Mittelweg zwischen Haus und Zelt: „Du hast ein richtiges Zuhause, bekommst aber trotzdem alles von der Natur mit.“ Die gebürtige Thunerin arbeitete zunächst als Lehrerin und begann anfangs der Nullerjahre mit dem Aufbau des Jurtendorfs. Einige Jahre zog sie mit ihren Mitnomaden von Platz zu Platz, dann wurde sie im Luthertal sesshaft und empfängt heute pro Jahr bis zu 3000 Besucher. Sie hat ihre Passion zum Beruf gemacht und teilt sie mit anderen: „Das Jurtendorf schafft Raum für Begegnungen mit der Natur, anderen Menschen oder sich selbst.“Jurtendorf Schweiz, Alternatives Wohnen

Die Türe geht auf und Thomas Schär, Andreas Ehemann, tritt ein. Thomas, dessen Mundwinkel im Gegensatz zu seinem graumelierten Schnauzbart stets nach oben zeigen, kommt gerade aus seiner Schreinerwerkstatt im bernischen Huttwil. Im Winter baut er dort zusammen mit Andrea und Gimli Jurten für den Verkauf. 16 Stück werden es dieses Jahr sein. Von den Einnahmen leben die drei im Winter, Überschüsse investieren sie in den Ausbau des sanierungsbedürftigen Bauernhauses. Ob sie sich bereits ihren Alterssitz bauen, frage ich die beiden bevor ich gehe und meine Gästejurte einheize. Ganz im Gegenteil: „Wir sind nur Macher und keine Verwalter. Wenn hier alles fertig ist, könnte es gut sein, dass wir ein neues Projekt an einem anderen Ort beginnen.“

Fotos: Manuel Frick

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