Urlaub im Alltag – eine andere Form der Auszeit

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Als ich vor vielen Jahren einen meiner ersten Flyer für meine Shiatsu-behandlungen gestaltete, wählte ich als Kurzbeschreibung „Shiatsu ist wie eine Stunde Urlaub im Alltag“. Jetzt, wo ich diesen Artikel schreibe, sitze ich auf der Terrasse einer kleinen Hütte in Südfrankreich und habe – rein offiziell – zum ersten Mal seit langem wieder einmal „richtigen Urlaub“.

Youbeee Expertenbeitrag

Doch was ist denn überhaupt Urlaub? Sprachgeschichtlich geht der Ursprung auf das mittelhochdeutsche „urloup“ zurück, was nichts Anderes als „Erlaubnis“ bedeutet. Gemeint war die Erlaubnis, die ein Ritter bei einer höherrangigen Person einholen musste, um weggehen zu dürfen. Später entwickelte es sich dann zu „offizielle vorübergehende Freistellung aus einem Dienstverhältnis“ bzw. „arbeitsfreie Tage, die der Erholung dienen“. [1]

Arbeit versus Freizeit

In all den Firmen, in denen ich im Laufe der Jahre mit Shiatsu und Coaching gearbeitet habe, drehten sich viele der Gespräche mit den MitarbeiterInnen um den Urlaub. Und immer freuten sich die Menschen auf den Urlaub, doch meistens war er dann zu kurz und wenn man zurückkam, war die Urlaubsstimmung rasch dem Alltagsstress gewichen. Ein ähnliches Phänomen ist bei vielen Pensionisten bemerkbar.

Wie viele Angestellte arbeiten ihr Leben lang bis zur Pension, damit sie dann endlich die Dinge machen können, für die sie während dem Arbeitsleben keine Zeit hatten? Dann ist der Ruhestand endlich da und die innere Unruhe, etwas tun zu müssen, bleibt aufrecht. Bis vor etlichen Jahren waren Urlaub und die Pension die einzigen „arbeitsfreien“ Zeiten im Leben – abgesehen von der hoffentlich noch arbeitsfreien Kindheit und Jugend. Inzwischen gibt es einige zusätzliche Möglichkeiten, auch während des Arbeitszyklus eine „Auszeit“ zu nehmen: Bildungskarenz, Väterkarenz, Mütterkarenz, Sabbatical, Berufsumorientierungsphasen u. ä. bieten eine willkommene Pause von der Arbeit und der Beschäftigung mit etwas Neuem.

Nichts-Tun ist gar nicht so einfach!

Doch stellt sich mir immer wieder die Frage, was ist Arbeit und was ist Freizeit? Ich betreue nun seit vielen Jahren in erster Linie Menschen, die einer Bürotätigkeit nachgehen und einen Großteil ihrer Zeit vor dem Computer sitzen. Wenn wir davon ausgehen, dass Büroarbeit eine Form der Beschäftigung ist und Freizeit eine Form des Nichts-Tuns, dann gibt es nach meiner Beobachtung in der Praxis keine klare Trennung zwischen Arbeit und Freizeit. Ich kenne genug Menschen, die auch während der Arbeitszeit „Nichts tun“ und noch viel mehr, die sich in ihrer Freizeit mit hunderttausend Sachen „beschäftigen“. Wobei das „Nichts-Tun“ während der Arbeitszeit aus meiner Erfahrung heraus oft eher eine Form der unfreiwilligen Unproduktivität ist. Das Gefühl, in seiner Arbeit keinen „Output“ zu erzielen, wie es in der modernen Sprache so schön heißt. Das Gefühl, keinen Sinn in dem zu sehen, was man tagtäglich im Büroalltag so macht. Zumindest sind dies häufige Gründe, die ich immer wieder aus meinem Umfeld wahrnehme. Und genau aus dieser gefühlten Sinnlosigkeit kommt dann in der Freizeit oder der Auszeit – in welcher Form auch immer – die Kompensation voll zum Ausbruch.

Da werden Wände neu gestrichen, Fliesen verlegt, Gärten umgegraben, neue Möbel angeschafft, allerlei unnötige Dinge gekauft, es wird geradelt, gelaufen, geklettert, man schreibt sich in Fitness-Center, Yoga-Kurse und ähnliches ein, absolviert Weltreisen und Weiterbildungen, … und ehe man sich versieht, ist die lang ersehnte freie Zeit schon wieder vorbei. Die Arbeit beginnt wieder und im Grunde genommen hat sich der Stresspegel um nichts oder nur geringfügig reduziert. Und dann wundern wir uns, wenn wir uns gehetzt fühlen, nicht mehr gut schlafen können, undefinierbare Angstzustände, Panikattacken, oder Depressionen bekommen bis hin zum völligen Zusammenbruch unseres Körper-Seele-Geist-Systems.

Der natürliche Rhythmus

klaus-gisinger-fotolia-yinyangDabei wäre es so einfach! Alles im gesamten Universum ist einem ewigen Zyklus von Anspannung und Entspannung unterworfen. Zusammenziehen und Ausdehnen. In der östlichen Philosophie werden alle diese Phänomene durch das Yin und Yang Zeichen symbolisiert. Der Punkt bedeutet jeweils, dass das eine Phänomen – z.B. Yin – stets auch im anderen – Yang – vorhanden ist. In der dunkelsten Nacht steckt schon das Potenzial für einen sonnigen Tag. In der stärksten Anspannung steckt schon die Tendenz zur Entspannung. In der tiefsten Trauer steckt schon der Funke zum nächsten Glück, ….

Langer Rede, kurzer Sinn: Wenn wir uns wieder auf die natürlichen Zyklen rückbesinnen bzw. dem Leben wieder seinen Raum geben, ohne ständig aus irgendwelchen gesellschaftlichen oder egoistischen Zwängen heraus zu intervenieren, würden wir in einem stetigen Fluss von Aktivität und Passivität sein. Allerdings sollten wir uns im Klaren sein, was Passivität bedeutet. Nämlich ein tiefes Eintauchen ins Sein, in den Genuss des jetzigen Moments, in die Fülle des Lebens, ohne dabei etwas produzieren zu wollen. Passivität heißt in diesem Zusammenhang, sich voll und ganz dem hinzugeben, was da ist! All das, was wir mit unseren 5 physischen Sinnen im Moment wahrnehmen können. Sowohl in unserem Innen als auch im Außen. Zum Beispiel lang, tief, ruhig Ein- und Ausatmen und diesen Vorgang beobachten. Oder 2 Minuten lang einen Baum, eine Pflanze oder etwas Ähnliches betrachten – mit all seinen Details. Auch mit geschlossenen Augen ein Stück klassische Musik anhören ist eine Möglichkeit, nichts zu tun und trotzdem präsent zu sein. Darum geht es – um nicht mehr und nicht weniger.

Ob das dann als Urlaub oder Auszeit oder sonst etwas bezeichnet wird, ist völlig belanglos. Doch das Gute daran ist: Diese Momente kannst du jeden Tag deines Lebens genießen. Und du brauchst NICHTS dazu, außer dich selbst und deine Bereitschaft, deine Gewohnheiten zu verändern. Fang am besten gleich damit an! Mach Urlaub im Alltag!

[1] Quelle: Wikipedia

Titelbild: „Happiness2“ © Irina Patrascu via flickr.com CC BY 2.0

Bild: „Yin Yang“ Fotolia

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