Die Beziehung mit dem Ding

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Unser Alltag ist gefüllt mit allerlei Dingen. Dinge die unseren Tag begleiten, erleichtern, unterhalten oder auch stören und anstrengen. Alltagsgegenstände sind so omnipräsent, dass wir sie trotz oder aufgrund der Nähe gar nicht mehr wahrnehmen Manche dieser Dinge machen uns glücklich, manche wütend, manche nostalgisch. Was kann etwas so Lebloses wie ein Ding mit unserer Gefühlwelt zu tun haben?

Dinge, die uns begleiten

Ein Kochtopfdeckel, ein Abendkleid, eine Platte, ein Plüschtier, ein Fahrrad, Unterwäsche.Ich spaziere durch einen Raum, gefüllt mit Dingen, die Geschichten erzählen. Dinge, denen etwas gemein ist, etwas Persönliches, Individuelles. Dinge, denen etwas seltsam Undinghaftes anmutet.

 

Es ist das Parlamentarium in Brüssel, in dem derzeit das preisgekrönte Wandermuseum „Museum of Broken Relationships“ gastiert. Eine bunte Mischung von Alltagsgegenständen, die von Menschen aus aller Welt an das Museum gespendet wurden. Ich bewege mich zwischen den Alltagsgegenständen, zwischen Dingen, die ihrem Kontext entrissen wurden und nun ganz regungslos nebeneinander liegen.

‚Nicht berühren‘ steht auf Schildern zwischen den Museumsobjekten, wobei mich eine Geschichte nach der anderen berührt, die diese Waisen von gescheiterten Beziehungen erzählen. Sie erzählenGeschichten vom Zusammensein, Geschichten von Trennungen. Genau genommen erzählen sie von dem Ding als Projektionsfläche, als Symbol und Verbindungsglied zwischen zwei (oder mehreren) Personen und von ihrem Scheitern. Die Beziehung, die das Ding nicht imstande war, zusammenzuhalten. Außerdem erzählen sie von einer Beziehung zwischen Person und Ding. Aber warum bringen wir einem leblosen Gegenstand überhaupt derartige Gefühle entgegen?

Das einverleibte und das geliebte Ding

fussUnsere Welt ist voll mit Dingen – es wäre irreführend, sie alle in einen Topf zu werfen. Ich habe mehr Dinge in meiner Wohnung als Freunde auf Facebook. Ich habe Dinge, mit denen ich mehr erlebt habe als mit so mancher besten Freundin. Dinge sind allgegenwärtig, begleiten uns – manche wichtiger als andere, manche unterhaltsamer als andere. Ich wage zu behaupten, dass uns manche Dinge so nahe stehen, dass sie zu einem Teil von uns werden.

Der französische Philosoph Maurice Merleau-Ponty beschreibt in seiner Phänomenologie der Wahrnehmung wie sich ein Blinder seinen Blindenstock einverleibt. Der Stock wird zur Erweiterung seines Körpers, wie eine Prothese. Ist mein Computer auch eine Erweiterung meines Körpers? Ich stelle mir meinen Computer als Körperglied vor, das sich in die virtuelle Welt streckt,Tablett und Smartphone sind meine Augen und Ohren im Web 2.0.

Aber unsere Zu- und Abneigung gegenüber manchen Dingen scheint auch noch woanders zu wurzeln. Wir behalten doch eine gewisse Distanz zu Gegenständen. Jeder Beziehung geht ein Getrenntsein voraus, Distanz ermöglicht erst unsere Beziehung mit dem Ding. Das erinnert mich an den Science-Fiction Film „Her“ (2013) von Spike Jones, in dem sich Theodore Twombly (gespielt von Joaquin Phoenix) in die künstlich geschaffene Frau Samantha verliebt, und de facto eine Liebesbeziehung mit seinem Smartphone führt.

Dieses Science Fiction Szenario ist von unserer Realität nicht so weit weg wie man vermuten möchte. Fernbeziehungen sind Normalität und dabei müssen Computer oder Telefon als Verkörperung der virtuellen Beziehung hinhalten.Der Film macht deutlich, dass auf der anderen Seite des Telefons nicht wirklich eine Person sitzen muss, damit ich meine Sehnsucht auf diesen Gegenstand projizieren kann. Die Projektionsfläche setzt der Fantasie keine Grenzen und bedient sich aus der ganzen Palette an Gefühlen, die wir Mitmenschen gegenüber zu entwickeln imstande sind.Das bedeutet allerdings auch, dass unsere Gefühle zu einem Ding sind nicht konstant sind. Auch die Beziehung zwischen Mensch und Ding kennt gute wie schlechte Zeiten. Aber gibt es nicht auch ein Ding, das uns einfach nur glücklich macht?

Das Ding, das glücklich macht

Einer der ältesten Glücksforscher ist wohl Hans im Glück, der auf seiner Heimreise ein Ding nach dem anderen eintauscht – immer überzeugt, nun endlich im Besitz des optimalenDings zu sein. Das Märchen erzählt von dem Glück, das ein Ding in einem bestimmten Moment hervorzurufen vermag, und dem Ärger, von demselben in einem anderen Moment provoziert. Am Ende ist Hans ganz glücklich ohne all die Dinge, die er auf seiner Reise nach Hause stets eingetauscht hat. Hans war der erste Glücksphilosoph, der nicht etwas außer uns Liegendes oder eine Göttlichkeit für unser persönliches Glück verantwortlich machte. Allerdings haben wir ihm auch die Erkenntnis zu verdanken, dass kein Ding rundum glücklich macht.Museum of Broken Relationship

Es mag eine Lösung sein, Dinge auszutauschen, wenn sie uns nicht mehr glücklich machen, so wie Hans es uns vorgemacht hat. Aber wir könnten auch andere verrückte Dinge tun, wie einmal ohne Telefon außer Haus zu gehen oder andere Gewohnheiten brechen. Denn manchmal reicht auch ein wenig Distanz, um die Beziehung aus einer anderen Perspektive zu betrachten. Und im Zweifelsfall können wir es immer noch dem Museum kaputter Beziehungen spenden und die Geschichte unseres gemeinsamen Lebensabschnitts erzählen lassen.

Fotos: http://brokenships.com/en/about/download

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