Gut gemeinte Erwartungen

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Durch Erwartungen erzeugen Eltern bei ihren Kindern oft übermäßigen Druck. Das hat wenig mit Liebe zu tun, sondern vielmehr mit Ehrgeiz.

Expertenartikel

Wir haben Erwartungen ans Leben, an uns, unsere Kinder, unseren Partner, unsere Freunde, den Chef und so weiter. Die Liste ist lang. Wir verhalten uns alle in etwa gleich. Doch eine der stärksten Erwartungen ist die an unsere Kinder. Sehr oft gibt es zwischen Eltern und Kindern Spannungen, weil die Kinder die Erwartungen nicht erfüllen. Oft sind die Kinder dem Druck nicht gewachsen und verschliessen sich oder werden aggressiv. Diejenigen, die sich bemühen und sprichwörtlich verbiegen, um die Anforderungen zu erfüllen, enden nicht selten bei übermässigem Alkohol oder Drogenkonsum. Jedes Kind strebt nach Anerkennung der Eltern, und oft kriegen sie diese Anerkennung nur, wenn sie die Erwartungen erfüllen. Und was verbirgt sich hinter dem Wunsch nach Anerkennung? Ja klar, der Wunsch nach Liebe.

Erwartungsdruck

Eltern, die sich an mich wenden, weil sie mit ihren Kindern in gewissen Bereichen nicht mehr klar kommen, haben in fast allen Fällen eins gemeinsam: In ihrer Erwartungshaltung machen sie den Kindern schlicht mächtig Druck, und das hat mit Liebe sehr wenig zu tun! Wenn ich die Frage stelle: „Wie behandelst du deine Tochter/deinen Sohn, wenn du die Gedanken glaubst, er/sie sollte da und dort besser sein? Sollte dies und jenes …?“ Wenn ich diese Frage stelle, erschrecken die Eltern oft, weil sie realisieren, wie sie in diesen Situationen mit ihren Zöglingen umgehen. „Nicht sehr nett“, ist meist die Antwort, um dann ein, zwei Atemzüge später mit „aber wir sind doch für unser Kind verantwortlich“ zu kontern. Toll, der Verstand hat wieder einen Weg gefunden, um das Ego zu beruhigen. Leider muss ich sie wieder enttäuschen: Wir können für niemanden ausser uns selber die Verantwortung tragen! Oft wird gerade bei Kindern „Verantwortung tragen“ mit Liebe verwechselt. Liebe hegt und pflegt. Liebe gibt dem Kind einen geschützten Rahmen, in dem es sich gemäss seinem Potential bestmöglich entwickeln kann. Meist kommt jetzt das zweite Aber… Vermutest du auch schon, was da kommt?

Die Gesellschaft als Ausrede

„Aber die Gesellschaft hat ja gewisse Erwartungen…, mein Kind muss sich benehmen und etwas Gescheites lernen“, und „die Gesellschaft erwartet, dass ich mein Kind so erziehe, dass es nicht aus der Reihe tanzt.“ Aha, daher weht der Wind: Die Eltern wollen den Erwartungen der Gesellschaft gerecht werden und deshalb sollen die Kinder den Erwartungen der Eltern entsprechen. Uuuff, was da alles erwartet wird, und einmal mehr ist die Gesellschaft der Übeltäter. Wer ist denn diese Gesellschaft?

Vorleben statt erwarten

Oft wird es für mich dann ungemütlich. „Dann sag mir gefälligst, wie ich meine Kinder erziehen sollen“. Ich antworte dann ruhig: „Ganz einfach, stell keine Erwartungen an deine Kinder sondern an dich selbst! Lebe ihnen vor, wie sie mit Liebe und Freude die notwendigen Aufgaben erledigen. Summe beim Abwaschen oder Ordnung machen ein Lied. Freue dich darüber, dass du für den Verein die Protokolle schreiben oder bei Wind und Wetter mit dem Hund spazieren gehen darfst. Lebe den Kindern vor, wie wunderbar das Leben mit all seinen Pflichten ist, und wenn du ab und an einen Tag hast, an dem es dir schwer fällt, ist das völlig in Ordnung. Wichtig ist, dass es sich nicht umgekehrt verhält. Warum sollte dein Kind dir beim Abwaschen helfen wollen, wenn es von dir gelernt hat, dass es nichts Erfreuliches ist? Warum sollte ein Kind seine Sachen aufheben, wenn es von dir nur kennt, wie du dabei schimpfst und deinen Unwillen kundtust?“
Lass die Erwartungen los, und alles was du kriegst, geht über deine Erwartungen.

Titelbild

„img_8190.jpg“ © Leonid Mamchenkov via flickr.com CC BY 2.0

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