Das Seil – Was uns an schwierige Lebenssituationen bindet und wie wir aus ihnen aussteigen können

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Es gibt immer wieder Lebenssituationen, die schwierig, ungesund oder unbefriedigend sind. Und wir finden es oft schwer aus einer solchen Lage auszubrechen. Warum ist das so? Der erste Schritt etwas zu ändern, liegt darin, dass wir überhaupt einmal verstehen, worum es geht…

Youbeee Expertenbeitrag

Ein Mann ging in einem Tierschutzgebiet neben einem Elefanten, als er plötzlich innehielt. Er wurde durch die Feststellung irritiert, dass diese riesigen Kreaturen nur an einem dünnen Seil, welches um die Vorderbeine befestigt war, angebunden waren. Keine Ketten, keine Käfige. Es war offensichtlich, dass sich diese riesigen Elefanten jederzeit von ihren Fesseln befreien könnten, wenn sie es wollten. Aber aus irgendeinem Grund taten sie es nicht.

Ein hauchdünnes Band an einem Elefantenbein? 

Als der Mann einen Trainer in der Nähe sah fragte er, warum die Elefanten nur da standen, und nicht versuchten zu entkommen. Der Trainer antwortete: „Wenn die Elefanten sehr jung und noch viel kleiner sind, verwenden wir das gleiche dünne Seil, um sie anzubinden. In diesem Alter ist das Seil stark genug, um sie zu halten. Wenn sie dann älter werden, glauben sie, nicht mehr ausbrechen zu können. Sie glauben weiterhin, das Seil könne sie halten, so dass sie nie wieder versuchen sich zu befreien.

Das erstaunte den Mann. Obwohl diese riesigen Tiere sich jederzeit befreien könnten, tun sie es nicht, weil sie denken, dass sie es nicht können. Sie glauben tatsächlich, dass sie in ihrer gegenwärtigen Situation festsitzen.

Wie die Elefanten, entscheiden auch viele von uns aus dem Glauben heraus, nichts verändern zu können. Ist es, weil wir schon einmal dabei versagt haben oder aus Angst? In den vielen Fällen kommt es wohl daher.

Komfortzone mit brüchigem Boden

Die meisten Menschen lieben Gewohnheiten. Sie stehen jeden Morgen auf, erledigen ihr gewohntes Ritual – Kaffee trinken, Zähne putzen, Kleider anziehen und ab in die Arbeit. Es gibt die einen, die ihre Arbeit lieben – vielleicht nicht jeden Tag und vielleicht nicht alles was sie dabei tun, aber zum grössten Teil schon. Es gibt aber auch die anderen, die ihre Arbeit, ihre Arbeitssituation, ihren Weg zur Arbeit, usw. überhaupt nicht lieben. Sie bleiben trotzdem. Aber warum tun sie das? Warum nur bleiben wir Menschen in Lebenssituationen, die für uns überhaupt nicht gut, gesund oder befriedigend sind?

Engel am Seil, Ängste, youbeee

Wie gesagt, der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Komischerweise ist es uns viel einfacher in einer schlechten, aber gewohnten Situation zu bleiben als eine nötige Veränderung in Angriff zu nehmen. Wir halten fest an dem, was wir kennen und vermeiden das Unbekannte. Wir kleben an unserer ‚Komfortzone‘ obwohl es gar nicht mehr so komfortabel darin ist. Das Unbekannte macht Angst.

Wovor genau aber haben wir Angst?

Wir haben Angst davor, dass eine neue Lebenssituation nicht besser wird. Denn wäre das der Fall, müssten wir den ganzen Prozess wieder von vorne beginnen. Oder noch schlimmer, wir müssen das Problem bei uns selber suchen.

Wir haben Angst davor, leiden zu müssen. Wir müssen dann vielleicht wieder von ganz ‚unten‘ anfangen, vieles und Neues lernen, unsere Glaubwürdigkeit neu aufbauen, neue Beziehungen eingehen und/oder mit einer neuen finanziellen Situation zu Recht kommen.

Wir haben Angst davor, nicht geliebt zu werden. Irgendwann im Laufe der Zeit , ist uns unser Selbstvertrauen abhanden gekommen. Je nachdem wie lange wir uns in einer für uns unpässlichen Situation befinden, ist zusätzlich auch unser Selbstbewusstsein angeschlagen. Und wir verlieren den Glauben an uns selber.

Wir haben Angst davor, dass unser Leben schwierig wird und die neue Lebenssituation viel Arbeit mit sich bringt. Neue Arbeit zu finden oder mit etwas ganz Neuem anzufangen, benötigt viel Energie und Durchhaltevermögen. Es ist durchaus einfacher in der gewohnten Situation zu bleiben. Hier wissen wir was zu tun ist und wieviel Zeit und Aufwand benötigt wird.

Wir haben Angst davor, etwas zu verlieren. Wenn wir aus einer Lebenssituation aussteigen, verlieren wir etwa Kollegen, Ruf oder Anerkennung. Da wir wissen, dass Verluste schmerzen, tun wir alles, um sie zu vermeiden.

Wir haben Angst davor alleine zu sein. Wir stellen uns das Horrorszenario vor, einsam zu sein, ohne jemals wieder tiefe Freundschaften zu unterhalten oder Beziehungen einzugehen. Denn der Mensch ist nicht nur ein Gewohnheitstier, er ist auch ein Sozialtier. Wir sind nicht gern allein und bleiben lieber da wo wir es gewohnt sind, auch wenn wir nur wenige Leute um uns haben, die uns unterstützten.

All diese Ängste halten uns an unserem eigens festgebundenen Seil fest. Angst ist eine Ur- Reaktion, die sehr tief im primitiven Teil des Gehirns sitzt, den wir vor langer Zeit benötigt haben, um zu überleben. Wenn wir Situationen als bedrohlich empfinden, haben wir Angst. Trotzdem haben wir immer die Möglichkeit diese Angst zu überwinden.

Wie aber dieses Seil durchtrennen? 

Deshalb, das nächste Mal wenn es darum geht aus einer unbefriedigenden, unglücklichen und ungesunden Lebenssituation auszusteigen, stell dir ein paar einfache Fragen:

  1. Was passiert wenn du eine bestimmte Entscheidung triffst?
  2. Was passiert wenn du dich gegen etwas entscheidest?
  3. Wenn du dir vorstellen kannst, dass eine Lebenssituation schlecht ausgehen kann, kannst du dir auch vorstellen, dass sie gut ausgehen kann?
  4. Was weiss ich schon darüber, was mir die Zukunft bringen wird?
  5. Ist eine Veränderung das Risiko wert? Wenn nicht, warum nicht? Was hält mich davon ab Dinge oder Lebenssituationen zu verändern?

Um unsere persönlichen Seile zu durchtrennen, geht es manchmal nur darum, sich die richtigen Gedanken über Lebenssituationen zu machen. Manchmal müssen wir nur ein kleines bisschen mehr Mut, Selbstvertrauen und Glauben an das Gute haben. Vor allem, sollte es uns stets bewusst sein, dass wir Seile mit uns tragen. Sobald uns etwas bewusst ist, haben wir die Chance unser Leben in eine positive Richtung zu lenken, um es zu verändern.

Fotocredits

Titelbild © Mary Lou von Wyl

Foto im Text: „Engel am Seil“ © niezwyciezony via flickr.com CC BY 2.0

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