Gehirntraining erhöht die Lebensqualität

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Gemäß einer repräsentativen Umfrage in Deutschland erachten 85% der Menschen die Erhaltung ihrer geistigen Fitness als wichtigstes Ziel. Nur wissen die meisten nicht, wie sie es anstellen sollen. Marcel Liechti, diplomierter Gehirntrainer, erläutert in seinem Artikel, was geistige Fitness ist, wie sie unser tägliches Leben beeinflusst, und welche Möglichkeiten zur Steigerung der geistigen Leistungsfähigkeit bestehen.

Youbeee Expertenbeitrag

Förderung der geistigen Fitness erfordert Fachkenntnisse

Selbstverständlich sind geistige Anregungen irgendwelcher Art, zum Beispiel Kreuzworträtzel, nicht grundsätzlich wirkungslos. Sonst könnten wir uns unsere Bildungssysteme für die gesamte Bevölkerung ebenso ersparen wie unsere mentalen Förder- und Rehabilitationsmaßnahmen bei Senioren oder kranken Personen. Dass sie Effekte haben, ist vielfältig belegt. Allerdings wirkt nicht jede geistige Fitness-Maßnahme bei jedem Menschen gleich, auch unabhängig davon, in welchem Zustand er sich gerade befindet: schläfrig, gestresst, depressiv usw.

Der wirksame Einsatz von Maßnahmen zur Förderung der geistigen Fitness und der psychischen Stabilität erfordert ebenso Fachkenntnisse wie die nützliche Anwendung von Medikamenten oder die erfolgreiche psychotherapeutische Behandlung.  Die Gesellschaft für Gehirntraining (GfG) in Ebersberg, Deutschland, unter der Leitung des Gründers Dr. Lehrl hat jahrzehntelange Erfahrung, wie man dies mit Erfolg realisiert.

Professionelles Gehirntraining

Basierend auf Erkenntnissen der Informationstheorie, der Intelligenzpsychologie und der Gehirnforschung entwickelte Dr. Lehrl ab 1981 das sogenannte „Mentale Aktivierungs-Training“ (MAT). Dieses Gehirnjogging bzw. Gedächtnistraining verfolgt das Ziel, die Leistungsfähigkeit von Geist und Gedächtnis maximal zu nutzen und zu fördern. Dabei wurde darauf geachtet, dass es sich einfach durchführen und leicht in den Tagesablauf einplanen lässt.

Die Trainingsmaßnahmen im Rahmen des MAT-Gehirnjoggings bestehen darin, einen optimalen Aktivationszustand herzustellen. Das folgende Aktivationsmodell der GfG verdeutlicht dies:

Aktivationsniveau

Die geistige Leistungsfähigkeit hängt vom allgemeinen Aktivierungsgrad resp. Aktivationsniveau ab. Bei mittlerem Aktivationsniveau erreicht die Gedächtnis- und Konzentrationsfähigkeit ihr Maximum. Bei noch höherem Niveau, der allgemeinen nervösen Erregung, verringert die Leistungsfähigkeit wieder. Dies gilt auch für den Stress.

Der Eustress, ein Zustand, in dem sich Manager oft erst richtig wohlfühlen, liegt ein wenig rechts vom optimalen Aktivationsniveau. Diesen Zustand kennzeichnet eine fast maximale geistige Leistungsfähigkeit bei gleichzeitiger hoher Handlungsfähigkeit. Beim Distress ist das Aktivationsniveau noch weiter erhöht. In diesem Zustand fühlt man sich unwohl, zerschlagen, nicht mehr Herr seiner selbst. Die geistige Leistungsfähigkeit liegt deutlich unter dem Maximum.

MAT-Übungen verfolgen nebst dem Trainieren der geistigen Leistungsfähigkeit den weiteren Zweck, in wenigen Minuten das optimale Aktivationsniveau zu erreichen.

Kristallisierte und fluide (flüssige) Intelligenz

Unter der Bezeichnung fluide geistige Leistungsfähgkeit wird die aktuelle geistige Fitness verstanden, unabhängig vom in der Vergangenheit angesammelten Wissen oder Erfahrungsschatz. Das Niveau der fluiden Leistungsfähigkeit wird durch spezielle Intelligenztests gemessen, so genannte Tests für fluide Intelligenz. Bei diesen Tests kann normalerweise der Einfluss der Erfahrung vernachlässigt werden. Zwei Beispiele von solchen Tests sind die folgenden Aufgaben:

  1. Mit welcher Zahl wird die folgende Reihe fortgesetzt: 2 / 5 / 8 / 11 / 14 / ?
  2. Mit welcher Zahl wird die folgende Reihe fortgesetzt: 43 / 41 / 39 / 37 / 35 / ?

Im Gegensatz dazu beruhen kristallisierte Leistungen im Wesentlichen auf Erfahrungen. Sie bestehen im Wortschatz, Wissen und in Fertigkeiten, kurzum: das, was man im Leben gelernt und verstanden hat. Beispiele dazu sind die Fragen:

  1. Was ist ein Mäander?
  2. Was ist der Hippocampus?

Kristallisierte Leistungen sind gegen Störungen, aber auch Förderungsversuche relativ stabil. Deshalb verändern sie sich innerhalb von Stunden, Tagen oder Wochen kaum. In diesen Zeiträumen wird sich diese Kompetenzen, beispielsweise das Allgemeinwissen, weder bei einer anhaltenden Verschlechterung des Wohlbefindens noch bei der Förderung durch Lernveranstaltungen wesentlich verändern.

Das erworbene Niveau an kristallisierten Intelligenzleistungen ist das kumulierte Ergebnis von Lebenssituationen (Erfahrung und Wissen), in denen die geistige Fitness zur Bewältigung von Anforderungen zum Einsatz kam. Dieses Niveau muss hingegen nicht auf den momentanen mentalen Fitnesszustand hinweisen. So kann es sein, dass sich jemand augenblicklich sehr schlecht fühlt und zu nichts Lust hat und trotzdem weiß, wo er sich gerade befindet, wie viele Einwohner die benachbarte Großstadt hat und warum das eigene Auto zurzeit nicht anspringt.

Mit dem Gehirntraining soll die fluide geistige Leistungsfähigkeit verbessert werden, welche für den Alltag und das Lernen wichtiger ist als die kristallisierte Intelligenz.

Gehirntraining

Teste deine fluide Intelligenz

Die fluide geistige Leistungsfähigkeit hängt vom Arbeitsspeicher, dem Kurzzeitspeicher im Gehirn, ab. Denn bei Gedächtnisleistungen geht es im Wesentlichen um die Verarbeitung und Speicherung von Informationen. Störungen der Hirnfunktionen vermindern die Kapazität des Arbeitsspeichers. Geistiges Fitnesstraining kann die Kapazität hingegen wieder erhöhen. Dabei werden die folgenden zwei Komponenten trainiert:

  • die Arbeitsgeschwindigkeit (Schnelligkeit etwas zu erkennen und darauf zu reagieren) und
  • die Merkspanne.

Die Merkspanne entspricht der maximalen Anzahl von Informationseinheiten (z.B. Ziffern, Buchstaben oder ganze Wörter), die man im Bewusstsein behalten und unmittelbar wiedergeben kann. Gesunde Menschen besitzen eine durchschnittliche Merkspanne von 5 bis 7 Einheiten.

Der Arbeitsspeicher und seine beiden Komponenten können mit dem Kurztest für  die Informationsverarbeitung (S-KAI) gemessen werden. Auf der Website von NEURONALFIT steht ein solcher Test zur Messung deiner fluiden Intelligenz kostenlos zur Verfügung: http://www.neuronalfit.ch/s-kai-test/

Das Ergebnis des Tests darf jedoch nicht mit dem anderer Menschen verglichen werden. Denn hier herrschen große Unterschiede, die von der Anlage (Gene) und ihrer Entfaltung abhängen. So sind viele Erwachsene nicht in der Lage, die Aufgaben bei den obigen Beispielen für fluide Intelligenz zu bewältigen. Trotzdem können sie mental höchst fit sein. Eine derartige Leistung wäre ihnen vielleicht während ihres ganzen Lebens zu anspruchsvoll.

Um deine geistige Fitness anhand des Leistungstests zu bestimmen, muss dein Resultat mit dir selbst verglichen werden: Wie waren die eigenen Höchstleistungen in Zeiten, in denen du besonders gut drauf warst? Bleibst du dahinter zurück? Dann steht es nicht so gut mit der momentanen geistigen Fitness. Oder wird das höchste Niveau erreicht oder gar übertroffen, welches du bis dahin hattest? Dann bist du bei diesem intraindividuellen Vergleich gegenwärtig geistig fit.

Steigerung der fluiden Intelligenz durch Gehirntraining

Durch regelmäßiges, systematisches Gehirntraining erreichen alle Menschen eine Erhöhung der fluiden Intelligenz, welche mit dem S-KAI-Test objektiv gemessen werden kann. Praktisches Gehirntraining wird durch Trainer, die an der GfG (Gesellschaft für Gehirntraining) ausgebildet wurden, angeboten und umfasst Übungen wie

  • Typische Aufmerksamkeitsübungen zur Verbesserung der Merkspanne
  • Übungen zur Steigerung der Informationsverarbeitungsgeschwindigkeit
  • Interaktive Übungen am Computer
  • Praktische Übungen im Gelände (Brainwalking)

Über die Website von NEURONALFIT sind einige kostenlose Gehirntrainings verfügbar.

Energie durch geistige Fitness

Mental gesunde Menschen haben viel Energie

In mehreren Studien wurde untersucht, was Menschen unter „Gesundheit“ verstehen. Interessanterweise stand „mentale Gesundheit“ an erster Stelle, während der körperlichen Gesundheit nachrangige Wichtigkeit zugemessen wurde. Dabei wird unter der Bezeichnung „mentale Gesundheit“ resp. „geistige Gesundheit“ die Abwesenheit mentaler Beschwerden und Erkrankungen verstanden, zu denen psychische Labilität, Suchtneigungen und depressive Zustände gehören.

Typische Aussagen von mental gesunden Personen sind: „Ich bin voller Energie“ – „Ich bin gut drauf“ – „Ich bin glücklich“ – „das Leben interessiert mich“ – „Ich mag mich so wie ich bin“ – „Was ich anfange, führe ich auch zu Ende“.

Demgegenüber sind typische Aussagen von mental nicht gesunden Personen: „Ich fühle mich erschöpft“ – „Ich bin müde“ – „Ich finde das Leben nicht lebenswert“ – „Nichts interessiert mich mehr“ – „Ich bin unglücklich“ – „Ich fühle mich gedrückt und traurig“ – „Mich kann nichts mehr aufheitern“ – „Ich gebe leicht auf“ – „Ich kann mich nicht mehr konzentrieren“.

Die meisten Befragten setzen mentale Gesundheit mit Lebensfreude gleich und verbinden sie mit einem gesunden Selbstwertgefühl und Zufriedenheit. Mental gesunde Menschen haben höheres Selbstvertrauen, positive Lebenseinstellung, Zuversicht, den Glauben an sich selbst und fühlen sich voller Energie.

Neue Gehirnzellen für die mentale Fitness

Es ist eine der bedeutendsten Forschungsresultate der letzten 15 Jahren in der Neurologie: Unsere Gehirn erzeugt täglich neue Gehirnzellen. Damit lassen sich heute die Resultate des praktischen Gehirntrainings erklären: In Jedem Alter kann man noch Neues dazulernen.

Die Entstehung von neuen Nervenzellen wird Neurogenese genannt. Lange Zeit ging die Wissenschaft davon aus, dass erwachsene Menschen keine neuen Nervenzellen mehr bilden können. Seit den 90er Jahren ist jedoch klar, auch wir Menschen können noch bis ins hohe Alter neue Gehirnzellen und neuronale Verbindungen bilden. Eine Grundvoraussetzung dafür ist, dass das Gehirn beschäftigt beziehungsweise trainiert wird. Zudem sollte ausreichend körperliche Aktivität betrieben werden.

Ein zielgerichtetes und wissenschaftliches Gehirntraining kann die Bildung neuer Gehirnzellen unterstützen. Dadurch können folgende Fähigkeiten verbessert werden: Konzentrationsfähigkeit und Aufmerksamkeit, Lernen, Zahlen-, und Sprachverständnis, Denkvermögen, Merkfähigkeit und logisches Denken.

Alle diese Fähigkeiten nehmen direkt oder indirekt Einfluss auf das tägliche Leben. Sie führen zum Beispiel zu mehr Sicherheit im Straßenverkehr, mehr körperliche Fitness, mehr Lebensqualität, und reduzieren die Vergesslichkeit und beugen Demenzkrankheiten vor.

 

Weitere Informationen:

Der Autor dieses Artikels, Marcel Liechti, ist diplomierter Gehirntrainier GfG und bietet Trainings über seine Website http://www.neuronalfit.ch an.

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Pixaby „Frei von Urheberrechten unter Creative Commons CC0“

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